Vergehende Schutzhaut ist ein innovatives Designkonzept, das temporäre Schutzkleidung aus biologisch abbaubarem Material neu denkt. Es basiert auf der Idee, dass Schutz nicht dauerhaft, sondern bewusst vergänglich sein kann – ein Ansatz, der nicht nur funktionale, sondern auch ästhetisch-politische Dimensionen eröffnet. Die Anzüge bestehen aus Bioplastik, das aus Meeresalgen, roter Beete und Orangenschalen gewonnen wird. Dieses Material ist vollständig biologisch abbaubar, wird jedoch chemisch so angepasst, dass es während seines begrenzten Einsatzes toxische Substanzen aus der Umgebung absorbiert und bindet.
Im Gegensatz zu herkömmlichen, langlebigen Schutzmaterialien setzt Vergehende Schutzhaut gezielt auf geplante Obsoleszenz. Das bedeutet, dass der Anzug nach einer definierten Nutzungsdauer – etwa zwölf Stunden Arbeit in einer industriellen Umgebung – beginnt, sich sichtbar und fühlbar zu zersetzen. Dieser Zerfall ist kein Fehler, sondern Teil des Funktionsprinzips: Das Material selbst wird zum Warnsignal, das die Notwendigkeit zur Entsorgung und Erneuerung anzeigt. Der Zerfall ist damit nicht nur ein technischer Prozess, sondern auch eine ästhetische und haptische Erinnerung an die Endlichkeit von Schutz.
Materialstruktur und Funktionsweise Die Basis des Materials bildet eine zellulosehaltige Masse, gewonnen aus Meeresalgen, roter Beete – die zugleich als natürlicher Farbstoff und zur Ausbildung der Polymerstruktur dient – sowie Orangenschalen, deren Zitrusöle als plastifizierender Bestandteil wirken. Die Oberfläche des Anzugs wird mit speziellen aktiven Bindemitteln beschichtet, die auf flüchtige oder pulverisierte Gifte reagieren, etwa Lösungsmittel oder Schwermetallstaub. Diese Bindemittel sorgen dafür, dass Schadstoffe nicht nur abgefangen, sondern auch stabil gebunden werden.
Ein zentrales Element ist die sogenannte Zersetzungsprogrammierung: Das Bioplastik reagiert auf Umweltfaktoren wie UV-Strahlung, Feuchtigkeit oder pH-Wert. Diese Reaktionen führen nach einer definierten Belastungszeit zur strukturellen Auflösung des Materials. Der Trageprozess folgt dabei einem klaren Ablauf: In kontaminierten Arbeitsbereichen wie chemischen Werkstätten, im Bergbau oder bei urbanen Recyclingaktionen wird das Material getragen, nimmt dabei Schadstoffe auf und beginnt nach einer gewissen Zeit zu zerfallen. Der Zerfall wirkt visuell – etwa durch Farbveränderung oder das Entstehen von Rissen – sowie haptisch, durch ein brüchiges oder schleimiges Gefühl auf der Haut.
Ist die Schutzfunktion erschöpft, lässt sich der Anzug entsorgen: Das Bioplastik selbst verrottet vollständig. Die chemisch gebundenen Gifte hingegen bleiben als Rückstände erhalten, lassen sich filtern, sicher verpacken und entweder weiterverarbeiten oder deponieren. So wird eine kontrollierte Trennung zwischen organischem Träger und toxischem Inhalt ermöglicht – ein zirkulärer Prozess, der jedoch bewusst keine absolute Reinheit beansprucht.
Forschungs- und Designdiskurse Das Projekt steht in engem Dialog mit zeitgenössischen Forschungsarbeiten und Designstrategien. Die Arbeit von Aikaterini Kontoudaki (2022) zu Bio-Membranen aus Algen für temporäre Verpackungssysteme liefert grundlegende Erkenntnisse zur Materialverhalten. Auch Julia Lohmanns gestalterische Arbeit mit Algen – insbesondere ihr Department of Seaweed – zeigt das kritische Potenzial von marinen Biomaterialien im Designprozess. Das Futur Ecology Lab der Design Academy Eindhoven entwickelt vergleichbare Konzepte für Kreislaufsysteme, bei denen gezielter Materialverfall als ökologische Strategie genutzt wird. Der Begriff der Planned Material Obsolescence, geprägt von Ginsberg (2019), beschreibt in diesem Zusammenhang eine ethische Neuverhandlung von Materialnutzung im Anthropozän: Wann darf ein Material verschwinden? Welche Zeichen soll es dabei setzen? Schließlich verweist das MIT Mediated Matter Lab mit seinem Konzept Waste-as-Material-Carrier auf die Möglichkeit, toxische Rückstände nicht nur als Abfall, sondern als transformierbare Ressource zu begreifen.
Kritische Perspektiven auf Zerfall und Ästhetik Ein zentrales Thema des Konzepts ist die Ästhetik des Zerfalls. Der Anzug trägt seinen Verfall offen zur Schau: Risse, Verfärbungen oder sich lösende Schichten wirken wie Häutung oder Kompostierung. Diese sichtbare Transformation macht den Schutzprozess nicht nur erfahrbar, sondern symbolisiert auch die ständige Durchlässigkeit von Mensch und Umwelt. Der beginnende Zerfall ist nicht nur ein funktionales Signal, sondern auch eine taktile Erinnerung an die Fragilität von Sicherheit. Abstrakte Warnzeichen wie Piepstöne oder Aufdrucke werden durch spürbare Veränderung ersetzt – eine intuitive, körpernahe Kommunikationsform.
Das Konzept hinterfragt außerdem die Idee eines rein biologisch abbaubaren Systems. Zwar zersetzt sich das Trägermaterial vollständig, doch die giftigen Rückstände bleiben erhalten. Diese scheinbare Unreinheit wird jedoch zur Stärke: Sie macht sichtbar, dass Schutz immer auch Trennung bedeutet – zwischen Körper und Gefahr, zwischen organischer Hülle und toxischem Kern.
Anwendungsszenarien zwischen Funktion und Symbolik Vergehende Schutzhaut lässt sich in verschiedenen Kontexten einsetzen: als temporäre Schutzkleidung in kontaminierten Arbeitszonen, als Filteranzug für urbane Umweltaktionen – etwa bei der Müllsammlung in verseuchten Gebieten – oder als künstlerisches Medium. In performativen oder politischen Aktionen kann der langsame Zerfall des Anzugs als Zeichen für ökologische und soziale Erschöpfung gelesen werden. So wird das Kleidungsstück nicht nur zum funktionalen Objekt, sondern zum Manifest eines neuen Materialdenkens: vergänglich, bewusst, kritisch.
Analyse des Konzepts anhand von Designfiktion Kritierien.
#1 Bezug zur eigenen Lebenswelt
Das Konzept spricht indirekt Alltagserfahrungen an – etwa den Umgang mit Wegwerfprodukten oder das Unbehagen gegenüber toxischen Substanzen. Doch die spezifische Anwendung (Industrie, Bergbau) bleibt für viele Betrachter:innen abstrakt. Eine stärkere Verknüpfung mit privaten Schutzbedürfnissen (z.B. Haushaltschemikalien, Feinstaub) könnte die persönliche Resonanz erhöhen.
#2 Relevanz gesellschaftlicher Themen
Der Ansatz adressiert hochaktuelle Themen: Mikroplastik, Kreislaufwirtschaft und Arbeitsbedingungen in toxischen Umgebungen. Allerdings fehlt eine explizite Verbindung zu konkreten politischen Debatten (z.B. EU-Chemikalienrecht oder Greenwashing in der Textilindustrie). Die gesellschaftliche Sprengkraft bleibt unterschwellig.
#3 Gestalterische Zuspitzung
Die geplante Obsoleszenz ist ein starkes, fast provokatives Stilmittel. Doch die Ästhetik des Zerfalls wirkt eher poetisch als konfrontativ. Eine radikalere Inszenierung – etwa sichtbare Hautreizungen durch den Zerfall – könnte die Dringlichkeit verstärken.
#4 Symbolik und Metaphern
Die „Häutung“ als Symbol für Vergänglichkeit ist wirkungsvoll, aber konventionell. Die Materialien (Algen, Orangenschalen) tragen metaphorisch wenig bei – hier wäre eine tiefere Verknüpfung mit ökologischen Krisen (z.B. Korallensterben) denkbar.
#5 Narrative Konsistenz
Die Logik des Zerfalls als Warnsignal ist schlüssig. Unklar bleibt jedoch, warum die Nutzungsdauer auf zwölf Stunden festgelegt ist – fehlende Skalierbarkeit (z.B. für Kurz- oder Langzeiteinsätze) untergräbt die Praxistauglichkeit.
#6 Irritative Reibung
Der Bruch mit dem Dauerhaftigkeitsdogma ist gelungen. Doch die Akzeptanz des „unreinen“ Kreislaufs (toxische Rückstände) wird nicht hinterfragt. Eine gezielte Provokation – z.B. Szenarien, in denen der Zerfall lebensbedrohlich wird – könnte Denkmuster stärker erschüttern.
#7 Varianz
Das Konzept bleibt monolithisch: Keine Alternativmaterialien, Nutzungsdauern oder Zerfallsarten werden durchgespielt. Gerade der politische Einsatz (z.B. Protestkleidung) wäre ein Feld für radikalere Varianten – etwa Anzüge, die bei Polizeigewalt zerfallen.
Reality Check anhand aktueller Studien und Forschung.
Die Kombination von Algen, roter Beete und Orangenschalen als Basis für ein toxisches Schadstoff-bindendes Bioplastik ist theoretisch plausibel, jedoch in der Praxis komplex. Algenbiopolymere (z.B. Alginate) sind bekannt für ihre Fähigkeit, Schwermetalle zu binden (Davis et al., 2003), aber ihre mechanische Stabilität unter Belastung ist fragil. Die Integration von Zitrusextrakten als Weichmacher könnte die Haltbarkeit weiter reduzieren. Die gezielte Zersetzung durch UV/Feuchtigkeit ist technisch umsetzbar, aber die präzise Steuerung des Zerfallszeitpunkts erfordert fortgeschrittene Materialprogrammierung.
Die Absorption von Schadstoffen ist ein kritischer Punkt: Während des Zerfalls könnten gebundene Toxine freigesetzt werden, bevor eine sichere Entsorgung erfolgt. Die Behauptung, dass Rückstände stabil gebunden bleiben, müsste durch Langzeitstudien validiert werden (vgl. EPA-Richtlinien zu Biofiltration).
Das Konzept der "geplanten Obsoleszenz" als Warnsignal ist innovativ, aber arbeitspsychologisch riskant: Ein zerfallender Schutzanzug könnte Sicherheitsängste verstärken. Die Ästhetik des Verfalls mag künstlerisch reizvoll sein, aber im industriellen Kontext könnte sie als Mangel wahrgenommen werden.
Statt vollständiger Zersetzung wäre ein hybrides System denkbar: Ein abbaubarer Träger mit entfernbarer, recycelbarer Schadstoffschicht. Forschung zu enzymatischen Abbauprozessen (z.B. Pilzmyzel-basierte Filter) könnte die Kontrolle über den Zerfall verbessern.
Quellen:
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