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Circuliving mit Objekt-Tagebuch


Was wäre, wenn Besitz abgeschafft würde – und alle Dinge nur noch zirkuliert werden dürfen?

Jahr 2042. In vielen urbanen Regionen Europas wurde das Privateigentum an Dingen freiwillig aufgegeben. Stattdessen gibt es ein zirkuläres Nutzungssystem namens Circuliving. Objekte – von Kleidung über Werkzeuge bis Möbel – werden in einem dezentralen Netzwerk verwaltet. Jeder Mensch bekommt ein „Objekt-Portfolio“, das sich an Lebensbedürfnissen orientiert. Dinge altern, entwickeln Patina, Geschichte – und sind mit Metadaten über frühere Besitzer\:innen angereichert.

Ein Holzstuhl kann fünf Leben erzählen. Eine Jacke trägt die Geschichten von acht Menschen. Nichts ist neu – aber alles ist verbunden.

Möglicher Prototyp: Das „Objekt-Tagebuch“

Ein spekulatives Artefakt: Die Kreislauf-ID eines Gegenstands. Darin ist gespeichert:

  • Herkunft & Materialien
  • Reparaturverläufe
  • Geschichten der Nutzer\:innen (Text, Audio, Bild)
  • Nutzungsdauer
  • Persönliche Botschaften

Der Anhänger ist über ein öffentliches System abrufbar, anonymisiert, aber emotional. Nutzer\:innen hinterlassen auf Wunsch kurze Einträge – vergleichbar mit einem Gästebuch oder Reisetagebuch. Es gibt keine „neuen“ Produkte mehr – nur Dinge mit Geschichte.

Reflexive Fragen, die das Design aufwirft:

  • Welche Art von Bindung entsteht zu Objekten, wenn sie Geschichten statt Preise tragen?
  • Wie verändert sich unsere Beziehung zum Konsum, wenn Besitz temporär und gemeinschaftlich wird?
  • Was bedeutet Identität, wenn sie auch durch Dinge erzählt wird, die andere weitergeführt haben?

🪑 Beispiel: Der Prototyp eines Stuhls mit Objekt-Tagebuch

📘 Name des Objekts: „K12 - Stuhl, geölte Eiche, geborgen 2033“ 📎 Objekt-Tagebuch (Auszug): Benutzer: Aras R. | Juni 2035, Oslo „Ich habe den Stuhl in der Werkbankstation #81 gefunden, als ich meine Wohnung verlor. Ich saß auf ihm, als ich meine ersten Texte über Wohnrecht geschrieben habe. Unter dem Sitz habe ich ein Gedicht eingeritzt. Wenn du es findest – lies es laut.“ Benutzerin: Leo M. | September 2039, Wien „Der Stuhl war bei meiner Großmutter im Wohnzimmer, dort stand er immer unter dem Fensterrand. Mein Sohn hat darauf seine ersten Nudeln gegessen. Die linke Lehne ist von ihm abgenagt.“ Materialanalyse (KI): Holz aus Rückbauprojekt, mit Mikrokratzern von 4 Nutzenden. Emotionsindex: 7.3 (hoch).




speculatives

Analyse des Konzepts anhand von Designfiktion Kritierien.


#1 Bezug zur eigenen Lebenswelt
Das Konzept spricht direkt alltägliche Erfahrungen an – etwa emotionale Bindungen zu Gebrauchsgegenständen oder das Unbehagen gegenüber Wegwerfkultur. Die Idee, Objekte als Träger von Geschichten zu sehen, ist intuitiv nachvollziehbar. Allerdings bleibt unklar, wie der Übergang von heutigem Besitzdenken zu dieser radikalen Alternative gelingen soll.

#2 Relevanz gesellschaftlicher Themen
Die Abschaffung von Privateigentum greift aktuelle Debatten um Nachhaltigkeit, Gemeingüter und Post-Kapitalismus auf. Die Zuspitzung ist relevant, aber die Darstellung wirkt utopisch-unkritisch: Konflikte um knappe Ressourcen oder Macht im dezentralen Netzwerk werden ausgeblendet.

#3 Gestalterische Zuspitzung
Die Idee ist bewusst überspitzt – besonders durch die Metadaten-Anreicherung und den „Emotionsindex“. Diese Verfremdung regt zum Nachdenken an, wirkt aber stellenweise naiv (z.B. „Patina“ als romantisiertes Konzept). Der Prototyp „Objekt-Tagebuch“ ist ein starkes, greifbares Symbol.

#4 Symbolik und Metaphern
Die Objektgeschichten fungieren als poetische Metapher für kollektive Verantwortung. Allerdings fehlt Tiefe: Wie werden negative Erfahrungen (z.B. Diebstahl, Vandalismus) integriert? Die Kreislauf-ID reduziert komplexe soziale Beziehungen auf technokratische Daten.

#5 Narrative Konsistenz
Die Grundregeln (kein Neukauf, anonymisierte Nutzerdaten) sind schlüssig, aber der Spannungsbogen bleibt offen: Was passiert, wenn jemand das System ignoriert? Wie wird Nutzungsdauer geregelt? Die Beispiele wirken kuratiert – Konflikte fehlen.

#6 Irritative Reibung
Das Konzept bricht radikal mit Besitzlogik und fordert heraus. Allerdings irritiert es nicht genug: Die emotionalen Einträge (Gedicht, Nudel-Geschichte) bestätigen eher harmlose Werte wie Nostalgie. Wo sind die unangenehmen Seiten des Teilens?

#7 Varianz
Es gibt nur eine idealisierte Version des Systems. Unterschiedliche Perspektiven (z.B. Kritik an Überwachung durch Metadaten, soziale Ungleichheit im Zugang) fehlen. Wie sähe eine dystopische Variante aus – etwa als Kontrollinstrument?

realistics

Reality Check anhand aktueller Studien und Forschung.


Machbarkeit

Technisch realisierbar durch IoT-Chips und Blockchain für Provenienz (vgl. Ellen MacArthur Foundation zu zirkulärer Wirtschaft). Dezentrale Verwaltung erfordert jedoch massive Infrastruktur – Energieverbrauch und Datenschutz (Stichwort: material footprint digitaler Lösungen, UNEP 2022) sind kritisch.

Risiken

  • Psychologische Barrieren: Studien zu Besitzattachement (Belk 1988) zeigen: Menschen binden sich an Objekte als Identitätsanker. Temporärer Zugang könnte zu Entwurzelung führen.
  • Logistische Komplexität: Tragedy of the Commons-Problem (Ostrom 1990) – wer wartet/repariert? Pilotprojekte wie Library of Things (London) scheitern oft an Skalierung.

Implikationen

  • Konsumethik: Reduktion von Neukäufen plausibel, aber Rebound-Effekt möglich: Mehr Zirkulation = höherer Transportaufwand.
  • Emotionale Daten: Metadaten zu Nutzer:innen bergen Missbrauchsrisiko (Stichwort: emotional surveillance).

Alternativen

Statt radikaler Abschaffung: Hybride Modelle mit Eigentumsgrenzen (z.B. Grundbedarf als Commons, Luxus privat). Prototyp Objekt-Tagebuch ließe sich lokal testen – etwa in Co-Housing-Projekten mit existierenden Sharing-Systemen.

Theoretischer Blindspot

Keine klare Antwort auf Machtungleichheit: Wer definiert „Lebensbedürfnisse“ im Portfolio? Foucaults Dispositive warnen vor Kontrolle durch Objektverwaltung.

👾

ᏰᏒᏋᏋᎴᏋᏒ LLM is working now...


metadata

pragmatics

Relektiert die Kernideen des Konzepts und generiert vereinfachte Varianten - die mit niederschwelligen Methoden und Materialien umsetzbar sind.


ethics

Reflektiert die ethische Perspektive auf das Projekt - sucht und hinterfragt kritische blinde Flecken im Konzept und entwickelt erbauliche loesungsorientierte Fragestellungen.


intrinsics

Reflektiert zugrundeliegende intrinsische Motivation des Projektes - untersucht diese kritisch und reflektiert mit erbaulichen Fragestellungen.


Geschichten statt Besitz: Die emotionale Bindung an zirkulierende Objekte

Wenn Dinge nicht mehr gekauft, sondern gelebt werden, entsteht eine neue Form der Verbindung – nicht durch Eigentum, sondern durch geteilte Erinnerungen. Ein Stuhl wird zum Archiv, eine Jacke zum kollektiven Tagebuch. Die Frage ist nicht mehr "Gehört mir das?", sondern "Was kann ich dazu beitragen?". Wäre es möglich, dass wir irgendwann lieber eine Jacke mit acht Leben tragen als eine neue – einfach weil sie mehr zu erzählen hat?

Die Illusion der Neuheit und der Reiz der Patina

In einer Welt ohne "neu" wird jede Gebrauchsspur zum Zeichen von Wert – nicht von Verschleiß. Kratzer sind keine Makel, sondern Einträge in einem fortlaufenden Roman. Die KI-basierte Emotionsmessung könnte hier radikal umdenken: Was, wenn der Marktwert eines Objekts nicht an seiner Unversehrtheit, sondern an der Dichte seiner Geschichten hängt? Würdest du bewusst den Stuhl mit den abgenagten Lehnen wählen, nur weil seine Biografie dich mehr berührt?

Identität im Fluss: Bin ich noch ich, wenn meine Dinge wandern?

Wenn der Holzstuhl, auf dem du dein Manifest schriebst, Jahre später in fremden Wohnzimmern steht – bleibt dann etwas von dir darin? Oder wird Identität plötzlich etwas Fluides, das sich in Objekten fortschreibt wie ein Staffellauf? Die provokante Kehrseite: Verlieren wir uns, wenn nichts mehr unser ist – oder finden wir uns erst im Kollektiv?

Das Objekt-Tagebuch als subversives Archiv

Die Kreislauf-ID ist mehr als ein Logbuch – sie ist ein stiller Aufstand gegen die Wegwerfgesellschaft. Jeder Eintrag untergräbt den Mythos der anonymen Ware. Aber was passiert, wenn Gegenstände anfangen, Geheimnisse zu hüten? Stell dir vor, du findest einen versteckten Code im Sitz des Stuhls, der dich zu einem vergessenen Protestnetzwerk führt. Wären Objekte dann die besseren Revolutionäre?

Die dunkle Seite der Circuliving- Utopie

Kein System ist perfekt: Was, wenn jemand das Tagebuch manipuliert, um eine fiktive Vergangenheit zu konstruieren? Wenn der Emotionsindex zur Währung wird – entsteht dann ein neuer Fetischismus des Authentischen? Und wer entscheidet eigentlich, wann ein Objekt "zu viele" Leben hatte und recycelt werden muss?

Vom Konsumenten zum Kurator: Die neue Rolle des Menschen

In dieser Vision sind wir keine Besitzer mehr, sondern temporäre Hüter von Dingen mit Eigenleben. Aber was, wenn wir uns irgendwann fragen: Bin ich es, der den Stuhl nutzt – oder ist es der Stuhl, der mich für ein Kapitel seiner Geschichte ausgewählt hat?

network

Zeigt Verbindungen oder interessante Überschneidungen zu anderen Konzepten innerhalb dieser BREEDER Instanz.


#1 Ähnlichstes Konzept: TauschRaum
TauschRaum teilt die Idee einer zirkulären Nutzung von Gegenständen, allerdings auf lokaler Ebene und ohne digitale Metadaten. Beide Konzepte fördern Gemeinschaft und reduzieren Besitz, doch Circuliving ist globaler und emotionaler durch Geschichten angereichert.

https://designfiction.turboflip.de/tauschraum-der-sozial-ökologische-kreislauf-laden-für-nachbarschaften

#2 Interessante Kombination: Equa, Die Bank für Gerechtigkeit
Die Kombination von zirkulierenden Objekten mit einer gerechten Geldverteilung könnte eine vollständig kreislauforientierte Gesellschaft schaffen. Equa ergänzt Circuliving durch ökonomische Umverteilung, während Circuliving Equa mit physischer Nachhaltigkeit verbindet.

https://designfiction.turboflip.de/equa-die-bank-für-gerechtigkeit

#3 Ersatz durch: K70 – Gemeinschaftliches Leben
K70 ersetzt Circuliving durch eine architektonische Lösung: Module statt Objekte werden geteilt. Dies hätte größere Auswirkungen, da nicht nur Dinge, sondern auch Räume kollektiv genutzt werden – allerdings ohne die emotionalen Geschichten der zirkulierenden Gegenstände.

https://designfiction.turboflip.de/k70-–-ein-konzept-für-gemeinschaftliches-leben-und-wachstum

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